Der dunkle Wald by Cixin Liu
Autor:Cixin Liu [Liu, Cixin]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-Heyne TB
veröffentlicht: 2018-02-28T23:00:00+00:00
DRITTER TEIL
Der dunkle Wald
Jahr 205 der Krise
Abstand der Trisolaris-Flotte zum Sonnensystem:
2,10 Lichtjahre
Dunkelheit. Vor der Dunkelheit gab es nur das grenzenlose Nichts. Das Nichts war farblos und leer, Dunkelheit bedeutete immerhin Raum. Schon bald entstand Unruhe in der Dunkelheit des Raums, wie ein leichter Wind, eine Ahnung der vergehenden Zeit. Das Nichts war zeitlos, doch jetzt nahm die Zeit Gestalt an wie ein schmelzender Gletscher. Viel, viel später erst kam das Licht, anfangs nur ein diffuses, helles Etwas, dann allmählich, nach langem Warten, gewann die Welt Konturen. Das wiedererwachte Bewusstsein hatte Mühe, sie zu begreifen, zuerst bemerkte es die dünnen, durchsichtigen Schläuche, die quer in der Luft hingen, danach tauchte hinter den Schläuchen ein menschliches Gesicht auf. Im Nu war es wieder verschwunden und gab den Blick auf das milchig weiße Licht der Decke frei.
Luo Ji erwachte aus dem Kälteschlaf.
Das Gesicht erschien wieder. Es gehörte einem freundlich aussehenden Mann, der Luo Ji anblickte. »Willkommen in unserem Zeitalter.« Als er das sagte, flammten farbenprächtige Rosen auf seinem weißen Laborkittel auf, die langsam wieder verblassten und verschwanden. Nun erschienen immerzu neue Kombinationen hübsch anzusehender Bilder auf seinem Kittel, die zu seinen Aussagen und Gefühlen passten, vom Meer, von Sonnenuntergängen und grünen Wäldern im Nieselregen. Er berichtete Luo Ji, dass seine Krankheit während des Kälteschlafs geheilt worden war und dass auch seine Wiedererweckung reibungslos verlaufen sei. In etwa drei Tagen würde er völlig wiederhergestellt sein, und dann würde auch sein Körper wieder ganz normal funktionieren.
Luo Ji war noch nicht ganz wach und sein Denken zu träge, um die Worte des Arztes vollständig aufzunehmen. Nur eine Information blieb hängen: Er befand sich im Jahr 205 der Krise und war soeben aus einhundertfünfundachtzig Jahren Kälteschlaf erwacht.
Der Akzent des Arztes kam ihm merkwürdig vor, doch bald begriff er, dass sich das Chinesische tonal gar nicht sehr verändert hatte. Dafür strotzte es vor Anglizismen. Während er sprach, erschienen seine Worte als Text an der Decke. Offensichtlich lief ein Spracherkennungsprogramm mit. Wohl damit die Wiedererwachten leichter folgen konnten, wurden im Textdisplay die englischen Begriffe durch chinesische Schriftzeichen ersetzt.
Zuletzt sagte der Arzt, Luo Ji könne nun vom Wiedererweckungszimmer in die allgemeine Pflegestation überstellt werden. Auf seinem Kittel erschien zum Abschied ein Sonnenuntergang, auf den ein sternenbedeckter Nachthimmel folgte. Schon setzte sich Luo Jis Bett in Bewegung. Kaum war er durch die Tür, rief der Arzt: »Der Nächste bitte!«. Mühsam drehte er den Kopf und sah, wie ein weiteres Bett in das Wiedererweckungszimmer rollte. Darin lag jemand, der offenbar soeben aus der Kälteschlafkammer geholt worden war. Das Bett fuhr von allein zwischen eine Anordnung von Apparaten, und der Arzt, dessen Kittel wieder ganz weiß war, berührte mit dem Finger die Wand. Daraufhin füllte sie sich zu zwei Dritteln mit komplexen Grafiken und Datenanzeigen, an denen er sich intensiv zu schaffen machte.
Luo Ji begriff, dass sein eigenes Wiedererwachen hier vermutlich gar keine große Sache war, sondern zum Tagesgeschäft gehörte. Der Arzt war freundlich gewesen, hatte jedoch kein besonderes Interesse an Luo Ji erkennen lassen.
Genau wie im Wiedererweckungsraum gab es auch im Flur keine Lampen.
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